08-21 Elva

Dienstag, 21. August, von San Martino nach Elva

Die Nacht im zugigen Heuschober mit meinen 14 Mitläufern war überstanden, als die Tagesdämmerung hereinbrach. Ich lag da, eingemummt und mit meiner Wollhaube bis über die Augen (Kälte- und Lichtschutz). Undeutlich nahm ich im Halbschlaf murmelnde Stimmen war, die Regen, Kälte und einen Wetterumschwung vorhersagten, tonfallmässig ähnlich jenen Spezialisten, die schon am Vortag insistiert hatten, dass wir vor dem Ankommen eingeregnet würden und deren Erwartung schon am Vortag enttäuscht worden war. Ein guter Grund, mich nochmals umzudrehen und ein Viertelstündchen den Unkenrufen zu entkommen.

Heute hatten wir keine Eile, da die vorhergesagte Nettowanderzeit (ohne Verlaufen) nur zweieinhalb Stunden betrug. So ging es also um 8:30 gemütlich zum Morgenessen, dieses war reichhaltig und gut. Sobald die Geister erwacht waren, hagelte es Spott und Hohn bezüglich des rosa-lila Nachthemdes der Berichtschreiberin, welches in allen Facetten beschrieben und danach von der Wirtin als „letzter Versuch“ tituliert wurde. Nur die Blumenpracht vor dem Haus konnte meinen Gram lindern.

Dann ging es langsam los, nach 10 Uhr, zuerst nach San Martino Superiore, wo zum ersten Mal auf der gesamten Wandertour eine Bar angeschrieben stand, genau in dem Moment, wo man eine solche nicht braucht. Weiter ging es auf dem Rücken des Colle Bettone durch lichte Lärchenwälder und über Grashänge, mit nur einer kurzen Pause.

Schliesslich kamen wir nach 1.5 Stunden in das Einzugsgebiet der Elvaschlucht, wo die Landschaft dramatisch änderte. Statt friedlicher Grashügel sahen wir eine beeindruckende Kulisse von spitzen Bergzacken vor uns. Bei der Wegkapelle auf dem Colle St. Giovanni gab es Mittagsrast, wo wir die letzen Sonnenstrahlen genossen, bevor der Himmel verdunkelte.

Von dort war es nur noch eine Stunde bis Elva, unserem Zielort, wo wir von einer kleinen, idyllisch gelegenen Kirche empfangen wurden. Dort gab es eine kurze Erwähnung von Hans Clement, einem niederländischen Wandermaler, der im 15. Jahrhundert hier Arbeit gefunden hatte. In der Bar gegenüber (praktischerweise ebenfalls mit dem Namen Clement) bekamen wir nicht nur Kaffee, sondern auch einen Schlüssel zu der Kirche, wo wir die farbenprächtige Innenausstattung bestaunen konnten. Zu diesem Zeitpunkt begann es leicht zu regnen, gerade zur rechten Zeit.

Noch ein kurzes Kommentar zu Elva, bevor ich die nächste Schlafstatt kommentiere. Elva war einst berühmt für die Haarzöpfe der hier ansässigen Frauen, die dadurch ein begehrtes Ziel für die einmal jährlich vorbeireisenden Perückenmacher darstellten. Das hiesige Haar war dem französischem und Schweizer an Qualität überlegen, wodurch die höchsten Preise erzielt werden konnten für den amerikanischen Markt. Die Boomjahre dauerten bis ins 20. Jahrhundert an, steigende Bodenpreise machten von sich reden. Vor dem ersten Weltkrieg betrug die Bevölkerung 1300 Leute, 1971 waren es nur noch 252, heute sind es weniger als 100 Anwohner und Elve ist bekannt als eine der ärmsten Gemeinden Italiens.

Die Zimmerverteilung in L’Artesin verlief mit dem üblichen Gerangel, ich landete in einem Zimmer mit drei Kajütenbetten, wir waren zu fünft. Wie schon zuvor, gab es konstruktive Diskussionen über das Aufstiegprozedere zum oberen Bettteil (die falsch aufgehängten Leitern stellten wohl die grösste Gefahr dar in dieser Woche) und jede Menge gute Lebensratschläge. Ausserdem gab es eine Photosession zum Thema Nachthemd, bei der wir unheimlich viel Spass hatten und die ich leider nicht zeigen darf.

Christine

Hiking in Switzerland and around the world