05 21 Diafani

21.Mai, Diafani

Zwischen einer gewissen Vergangenheit und einer ungewissen Zukunft steht das Dorf Diafani. Nordens der Hauptstadt, ungefähr in der Mitte der Insel, lockt es kaum Touristen. In dem nahe liegenden und architektonisch bedeutendem Olympos suchen sie sich lieber eine malerische Unterkunft. In Diafani fanden wir den dortigen Geistlichen nicht und es gibt offiziell nur einen Fischer.

Dafür hat das Dorf seinen eigenen Reiz, den man zum Beispiel bei einer Mahlzeit schnell entdeckt. Der Koch, der uns gestern Abend mit langer weißer Schürze bediente und danach eine selbst handgeschnittene «Lyra» spielte und sang, musste seine Vorstellung unterbrechen, um sich um die weiteren Kunden, diesmal Einheimischen, zu kümmern. Was sonst kommerziell wäre, war es hier nicht. Die eingelegten Kapern-Blätter und der kaum flüssige Joghurt, wie das gestern von dem Michi fein gewürzte zarte Lammfleisch, bieten dem verwöhnten Gast eine aus Frische und Regionalität bestehende hochkarätige Qualität, die allerdings nicht jeder zu kosten vermag und die sich Luxus-Restaurant selten leisten können. Der Reiz des Dorfes war auch in der «guten Stube» des Hotelbesitzers spürbar.

Er zeigte uns die Familientruhe, deren liebevoll aufbewahrte Tracht-Gewänder zwei von uns anprobieren durften. Bunte, manchmal grelle Stickarbeiten sowie auch zahlreiche schmückende Teller, frühere und frühe Familienfotos, wo auch man sich umdreht, vermitteln teilweise ähnlich wie in der prachtvollen orthodoxen Kirche einen Eindruck zwischen musealer Aufbewahrung und Sippenstolz. Familiensinn trifft auf Nostalgie.

Wie jedes Dorf hat Diafani eine orthodoxe Kirche, deren programmatische Dekoration, Christ Pantokrator samt allerlei Heiligen, den Besucher zwar nicht überrascht; dennoch strahlt sie, teilweise wegen einer an allen Wänden und an der gewölbten Decke der Empore ausgedehnten Malfläche, keine gewöhnliche, sondern eine betonte erzählerische Atmosphäre aus. Aber wer, Gläubiger oder Besucher, deutet heute noch die Lehre der gesamten Fresken dieses sakralen Gebäudes richtig aus? Oder verfügt auf das damals verbreitete Wissen, um es zu wagen?

Überall im Dorf, in Teppichen geknüpft, auf Fassaden gemalt oder als Teil eines Balkon-Geländers geformt, sieht man den doppelköpfigen byzantinischen Adler, das mächtige Symbol einer lang vergangenen Vergangenheit.

Das Dorf ist klein, also ist es leicht, wenn man in den Gässlein herumspaziert, durch eine halboffene Tür oder in der Nähe des kiesigen Strands, wo höchstens ein paar Menschen baden, eine Tracht-tragende Frau zu erblicken. Bloß für diese wenigen Fremden bemühen sie sich also höchstwahrscheinlich nicht, Kostbares anzuhaben. Dass sie aber alle Ältere sind, weist darauf hin, herkömmliche Traditionen werden weiter gepflegt. Mit oder ohne Tourismus. Aber wie lange? Junge Frauen mit Tracht habe ich nicht gesehen.

Am Nachmittag besuchten wir einen durch eine kleine Wanderung erreichbaren Strand, der uns leer zur Verfügung stand.

Alain

Hiking in Switzerland and around the world