13.-27. Mai 2007, Korsika, Einführung
Bisher hat unsere Wandergruppe jeden Frühling ein anderes Ferienziel besucht, meistens im Mittelmeerraum, aber auch auf den britischen Inseln. Dieses Jahr gab es mit Korsika zum ersten Mal eine Wiederholung. Die „Île de Beauté“ war schon vor 11 Jahren unsere 1.Wahl, weil sie wahrhaftig die schönste Mittelmeerinsel ist. Die ganze Insel ist sehr gebirgig. Monte Cinto erreicht 2706 m, und es gibt viele andere Zweitausender. Flaches Land gibt es nur entlang der Ostküste. Manche Gipfel sind Kletterberge, und auch die Bergflanken zeigen oberhalb der Wälder viel nackten Fels.
Sind wir dieser rauen Bergwelt noch gewachsen? Eine Begehung der berühmten GR 20 quer durch die ganze Insel kommt sicher nicht in Frage. Man muss das ganze Gepäck inkl. Proviant von einer abgelegenen Hütte zur anderen tragen. Im 1996 hatten wir Teile davon gemacht, inkl. den „Cirque de Solitude“, dessen Felskessel als die anspruch-vollste Etappe der ganzen Route gilt. Monte Cinto wurde damals auch von einem Teil der Gruppe bestiegen.
Zum Glück gibt es heute auf Korsika weitere, gut markierte Langstreckenwanderungen. Am bekanntesten ist der Weitwanderweg „Mare e Monti“, der im Nordwesten meist in Küstennähe von Calvi nach Cargèse führt. Teile davon, kombiniert mit ausgewählten Etappen der GR 20, könnten für uns das Richtige sein. Die Meeresnähe würde natürlich die obligaten Bademöglichkeiten bieten. Eine Bootsfahrt darf auch nicht fehlen.
Das mir schon bekannte Hotel l’Aitone in Evisa wird immer noch vom gleichen Besitzer Toussaint Ceccaldi geführt. Ausser der Modernisierung der Zimmer hat sich nicht viel geändert. Monsieur Ceccaldi’s Englischkenntnisse haben sich genau so wenig wie meine Französischkenntnisse gebessert, aber es gibt neu einen Englisch sprechenden Assistent, Jean-Pierre. Das Bergdorf Evisa liegt auf ca. 800 m Höhe, zentral gelegen für Ausflüge über den Col de Verghio (1477m) ins Hochgebirge oder hinunter nach Porto an der Küste. Eine ganze Woche dort bedingt etwas viel Bus Fahren, aber die Strecken oberhalb der Spelunca-Schlucht und entlang der Küste nach Serriera sind sehr beeindruckend und wurden mit wenigen Ausnahmen von den Teilnehmern sichtlich genossen. Die halbwilden Ziegen, Schweine und Kühe sorgten manchmal für zusätzliche Unterhaltung. Weil sich alles in der Gegend in fester Hand der Grossfamilie Ceccaldi befindet, hiess unsere Autocarfirma auch Ceccaldi (ein Bruder). Wir hatten grosses Glück mit unserem freundlichen und hilfsbereiten Fahrer Patrick.
Das gemütliche Hotel Sole e Monti in Quenza im südlichen Teil der Insel gab es auch noch. Der freundliche Besitzer namens Félicien Balesi hat uns den Aufenthalt sehr angenehm gemacht und uns kulinarisch nicht nur am Abend, sondern auch beim Frühstück verwöhnt. An den Küsten in Calvi und Bonifacio hatten wir weniger persönliche Hotels, ohne eigenes Restaurant. Beide Hotels sind aber zentral gelegen und bieten leichten Zugang zu einer grossen Auswahl von Restaurants mit verschiedenen Geschmacks-richtungen und Preisklassen. Obwohl ich meine früheren Kenntnisse für die Reservation passender Hotels genutzt habe, war ich mir nicht sicher, ob die getroffene Wahl für die Wanderungen ausreichend war.
Wie letztes Jahr an der Almalfi-Küste kam Mitglied Toni Jost mir zu Hilfe und erklärte sich bereit, mich bei einer Erkundigungsreise zu begleiten. Diese sollte nur eine Woche dauern und sich auf Calvi und Evisa beschränken. Trotz gemischtem Wetter ist es uns gelungen, alle mir noch nicht bekannten Wanderungen abzulaufen. Wir hatten gleich bemerkt, dass die 6-stündigen Wanderungen in der wilden korsischen Bergwelt von den Teilnehmern viel abverlangen würde. Aufgrund dieser Kenntnisse habe ich die Reihenfolge der Touren geändert, so dass etwas kürzere Touren dazwischen kamen. Trotzdem blieb das Programm anspruchsvoll und die Wanderungen wurden als recht happig bezeichnet. Für einen kleinen Teil der Gruppe musste ich fast jeden Tag eine alternative Kurzwanderung anbieten. Mit einer Photokopie des Wanderführers und den Markierungen folgend konnten diese Teilnehmer ihre eigene Route gut finden.
Die Wanderferien starteten in Calvi, ein hübscher Ferienort an der Nordküste, mit grossem Bootshafen und alter Citadelle. Die erste Wanderung auf Capu di a Veta (703m) gab eine schöne Sicht auf der Stadt und weite Strecken der Küste frei. Anschliessend konnten wir in überraschend warmem Wasser am feinen Sandstrand von Calvi baden. Auf unserer ersten langen Etappe des „Mare e Monti“ erlebten wir auf Bocca di Bonassa (1153m) Nebel und Sturm; wir wurden aber nie nass. Auch die erste GR 20 Wanderung zum Lac de Nino (1743m) fand teilweise im Nebel statt.
Für die nächsten Tage wurde das Wetter immer besser, und wir hatten praktisch nur noch Sonnenschein. Die landschaftlich reizvolle Wanderung nach Serriera durch blühende Macchia und leichte Pinien- und Kastanienwälder bot schöne Ausblicke über das Meer, vor allem von Punkt Capu San Petru (914m). Durch die Spelunca-Schlucht führt ein alter Weg direkt von Evisa nach Ota. In diesem schmucken Bergdorf kosteten wir bei „Chez Felix“ Ceccaldi (auch ein Bruder) ein typisch korsisches Mittagessen.
Die pittoreske Ortschaft Girolata ist nur mit Schiff erreichbar. Vom Boot aus durften wir die beeindruckende Felslandschaft des Scandola Naturreservats erleben und nachher den Tag mit einer kurzen Wanderung und einem langen Strandaufenthalt beenden. Noch ein Mal ging es ins Hochgebirge Richtung Paglia Orba. Obwohl uns die Zeit nicht reichte, diesen Kletterberg zu besteigen, hatte sich die Wanderung durch das wilde Golo-Tal mit seinen vielen Wasserbecken (sog. Gumpen) sehr gelohnt. Wenn auch oft stark geschwitzt wurde, war es meistens angenehmes Wanderwetter. Manchmal reichte die Zeit für ein kurzes Bad im Fluss (Fango, Golo, Spelunca, Ortu, Oso) in einem schönen Felsbecken, oder für einen längeren Aufenthalt am Meer (Bussaglia, Porto, Arone, Girolata, Pertusato).
Krönender Abschluss der Woche in Evisa war die Besteigung des Capu d’Orto (1294m). Er ist vom Hotel l’Aitone gut sichtbar und sieht von dieser Richtung wie ein unbezwingbarer Felsturm aus. Von Westen aber kann man über einen langen Grat – trotz gelegentlicher Anwendung der Hände, ohne richtiges Klettern – aufsteigen. Ein Grossteil der Gruppe hat den Gipfel erreicht, und den überwältigenden Blick in die Tiefe zum Meer und auf die höheren Berge wie Paglia Orba genossen.
Dieses Erlebnis wurde für manche noch übertroffen von der Umrundung der Aiguilles de Bavella, die Korsischen Dolomiten, eine Serie von Felstürmen. An der Schlüsselstelle (eine mit Kette gesicherte abschüssige Platte) bildete sich eine Warteschlange, und es brauchte Zeit, bis alle sicher hinunter gelotst waren. Turm Nr. 3 wurde von einer kleinen Gruppe über eine einfache Kletterstelle bestiegen. Der Weiterweg entpuppte sich anschliessend zur längsten Wanderung von allen, und zum ersten Mal stimmte meine Zeitschätzung nicht, denn unser Bus musste eine zusätzliche Stunde auf uns warten.
Alle diese Gehzeiten können in den interessanten GPS Aufzeichnungen von Wanderkamerad Hanspeter Sauter eingesehen werden.
Am nächsten Tag überraschte uns der Besuch des Piscia di Gallo („Hahnenpiss“ 836m) mit einem sehr steilen und felsigen Abstieg zu einem besonderen Aussichtspunkt, wo der 50m hohe Wasserfall mit Getöse zu Tale fällt. Die letzte Wanderung von Bonifacio zum südlichsten Punkt der Insel, das Capu Pertusato, bildete ein sanfter Ausklang zu unseren sehr abwechslungsreichen Wandererlebnissen. Dort konnten wir eine schöne Bucht mit feinem Sandstrand für 3 volle Stunden beinahe für uns allein geniessen.
Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben die Wanderungen bravourös gemeistert. Auch die Kurzwanderer haben es sich nicht immer leicht gemacht. Es gab keine wesentlichen Unfälle, nur leichte Prellungen von Stürzen im flachen Gelände oder Steinen in der teils heftigen Brandung. Wir hatten wirklich Glück mit dem Wetter und unseren Sportsaktivitäten, wenn man bedenkt, dass es unmittelbar nach unserer Abreise wegen Wetterumschlag drei tödliche Unfälle gegeben hat, zwei in den Bergen und einen am Meer. Die Gruppe wurde von einem der Neulinge als „autonom“ bezeichnet. Tatsächlich waren fast alle bereit, selbständig weiter zu gehen, wenn die Pause für sie zu lange dauerte. Nicht immer wurde der von mir geplante Weg eingeschlagen, so dass sich einige Male längere Wanderzeiten als vorgesehen ergaben. Schlussendlich sind wir alle immer gut angekommen.
Wir lieben es, die Berge auf diese lockere und ungezwungene Art zu geniessen. Ich danke den stärkeren und bergtechnisch versierteren Teilnehmerinnen und Teilnehmern für die stille Begleitung der etwas Langsameren oder Schwächeren. Danke sage ich auch denjenigen Sprachbegabten, die mich bei der Organisation mit ihren Französischkenntnissen unterstützt und damit mir sehr geholfen haben.
Zum Schluss möchte ich allen danken für das reibungslose und umsichtige miteinander Umgehen, für die fröhliche Stimmung und das mir in meine Führung geschenkte Vertrauen. Ich wünsche mir, dass wir solch schöne und von guter Kameradschaft geprägte Erlebnisse noch weitere Male erfahren dürfen und wiederholen können.
Adrian