04-29 Pico Benjenado

29.April, Pico Bejenado.

Nach dem langen ersten Reisetag erwache ich schon im Morgengrauen in unserer Bungalow-Anlage “Sonvida”. Wie früh ist es wohl? Ich schaue schläfrig auf meine Armbanduhr, aber ohne meine Brille ist es noch zu dunkel um die Zeit ablesen zu können. Noch müde setze ich aus Neugier im Halbdunkel meine Brille auf. Was??? Meine Armbanduhr zeigt zehn nach sieben! Wir sind am Vortag eben nicht nur südlich, sondern auch weit nach Westen geflogen, haben aber unsere Uhr nur um eine Stunde zurückstellen müssen. Deshalb so späte Morgendämmerung! Also nichts wie auf. Beim Gang zum Badezimmer geht auch Brigittes Türe auf, wir sind zu viert im Bungalow, und schlaftrunken wankt sie zielstrebig zur Kaffemaschine und setzt diese in Gang. Das verbreitet bald gute Düfte und weckt die Lebensgeister. Auf der schönen Veranda bauen wir ein Frühstücksbuffet auf, und bald geniessen wir auch die ersten Sonnenstrahlen. Aber wir müssen vorwärts machen, um neun Uhr ist Besammlung beim Bus!

Unser Chauffeur erweist sich als nicht gerade hilfsbereit und wartet ganz oben im Dorf, auf der Hauptstrasse, auf uns. Dies heisst gut zwanzig Minuten Aufstieg zum wartenden Bus. Es brauchte übrigens Überredungskunst, ihn für die folgenden Tage zu bewegen uns jeweils weiter unten abzuholen. Wir fahren auf der Strasse vom Vortag zurück über Los Llanos hinaus bis nach El Paso hinauf, wo wir dann links auf eine kleine Nebenstrasse in Richtung des kleinen Weilers Valencia abzweigen. Durch Bananenplantagen im unteren Teil und Weinberge steigt die Strasse bis auf knapp 1100m Höhe an. In einem Waldstück endet jedoch der Teerbelag der Strasse, was den Busfahrer sogleich veranlasst anzuhalten und uns vorzeitig aussteigen zu lassen: wir hatten gehofft er würde noch etwas weiter fahren. Also halt zusätzlicher Marsch von etwa 25 Minuten auf der guten jedoch ungeteerten Strasse bis zum Wald-Rastplatz “Pista de Valencia”.

Hier am Rastplatz weist uns der Wanderwegweiser auf einen guten Bergweg, welcher uns durch Pinienwald, im unteren Teil sanft ansteigend, Richtung Pico Bejenado, 1854 m ü.M., führt. Dieser Pinienwald gefällt uns. Die Kanarischen Pinien haben besonders lange Nadeln, und später werden wir lernen, dass diese weitgehend waldbrandresistenten und auf den Kanaren endemischen Pinien mit den schöngezeichneten Baumrinden für den Wasserhaushalt der Insel von entscheidender Bedeutung sind. Die besonders langen Nadeln kondensieren nämlich Wasser aus dem auf dieser Höhe häufigen Nebel und lassen dieses Kondenswasser auf den Boden tropfen, und zwar etwa zehnmal soviel, als der Baum selber verbraucht! Auch haben diese Bäume die Fähigkeit, nach einem Waldbrand Nadeln direkt aus dem Stamm heraus zu bilden und so den Brand zu überleben bis nach einigen Jahren wieder neue Äste nachgewachsen sind.

Nach vielleicht einer halben Stunde Aufstieg stossen wir auf eine kleine Abzweigung welche uns auf kurzem Weg zu heute eingehagten Petroglyphen-Zeichnungen führt. Diese Petroglyphen stammen von den Guanchen, den heute ausgestorbenen Ureinwohnern von La Palma vor der endgültigen Eroberung der Insel durch die Spanier anno 1493. Leider zeigten die damaligen Spanier keinerlei Interesse für die Kultur der Guanchen und metzelten die damaligen Ureinwohner der Insel als “Heiden” kurzerhand nieder. Dehalb weiss man heute kaum mehr etwas über die Kultur der Guanchen, auch deren Herkunft, vermutlich aus Nordafrika, ist nicht genau geklärt. Über die Bedeutung der mittels Stein auf Fels gemeisselten rätselhaften Zeichen, spiralige und kreisförmige, kann man heutzutage lediglich mehr oder weniger plausible Theorien aufstellen.

Während wir höhersteigen schiebt sich Seenebel unter uns in das breite Tal von Los Llanos. In der Ferne taucht in der reinen Höhenluft der 3718 m hohe Gipfel des Teide von Teneriffa auf, gut 200 km Luftlinie von uns entfernt! Auch die obersten Höhenzüge der beiden weiteren Nachbarinseln Gomera und Hierro werden am Horizont aus der tieferen Wolkenschicht heraus sichtbar.

Nach gut einer Stunde nicht zu steilen Aufstiegs erreichen wir einen Sattel, wo wir zum erstenmal in die riesige Caldera de Taburiente hinunterblicken können. Welch atemberaubender Anblick! Eigentlich ist die Caldera kein Krater, wie man ursprünglich meinte, sondern der riesige Talkessel wurde allein durch Wasserkraft und Einstürze, die das Gebiet ausgehöhlt haben, im Laufe der Zeit gebildet. Die bizarren Felsen bestehen jedoch durchwegs aus meist weichem vulkanischen Gestein.

Wir machen eine Trinkpause und Adrian motiviert uns damit, dass es zum Gipfel nun nicht mehr weit sei. Das stimmt nicht ganz, der Weg wird steiler, und wir brauchen noch eine gute Stunde bis zum Gipfel, den wir um halb eins, nach total etwa 2 ½ Stunden Aufstieg, erreichen. Die Mühe wird mehr als belohnt! Der Pico Bejenado ist ein markanter freistehender Gipfel, 1854 m hoch, am rechten Ende des ‘Krater’bogens vom Talausgang der Caldera aus gesehen. Der riesige Kessel der Caldera öffnet sich in einer gewaltigen und langen Schlucht nach Puerto de Tazacorte, nordwestlich von Los Llanos. Diese Schlucht werden wir an einem anderen Tag noch durchwandern. Man kann sich an den Felsen und der wilden Landschaft der Caldera kaum sattsehen, aber auch die weiten Ausblicke bis zu den Bergspitzen von Teneriffa, Gomera und Hierro faszinieren. Wir machen eine ausgiebige Mittagspause bei schönstem Wetter und steigen dann auf dem gleichen Weg zurück wieder ab. Der Busfahrer erwartet uns wiederum am Ende des geteerten Abschnittes. In Los Llanos, dem Hauptort der Westküste, haben wir dann noch eine Stunde Zeit Proviant für die kommenden Tage einzukaufen, sich im Ort kurz umzusehen, oder auf der Plaza de España ein Bier oder ein Café Cortado zu genehmigen.

Ein sehr schöner Tag, ohne schwerwiegendes Ereignis, glaubte ich…Leider passierte am Abend aber doch noch ein Missgeschick. Adrian führte fünf von uns – wir waren mit Adrian zu sechst im Fünfplätzer Mietauto(!) – vor dem Nachtessen noch an einen etwas abgelegeneren Strand beim nahe gelegenen Puerto Naos. Beim Abstieg vom Parkplatz oberhalb der Klippe zum Strand war ärgerlicherweise im untersten Teil die an sich gute Treppe, welche zum schwarzen Lavastrand hinunterführte, an einer Stelle weggespült. Ausgerechnet an dieser etwas heikleren Stelle strauchelte dann Daniel so unglücklich in die Felsbrocken unmittelbar vor dem Strand, dass er mit vielen Schürfungen und Prellungen und einem stark blutenden “Loch im Bein” zum ‘Centro de Salud’, zurück nach Los Llanos, gebracht werden musste. Für die restlichen Wanderungen war Daniel nun leider weitgehend ausser Gefecht, aber er hatte grosses Glück im Unglück, er verletzte sich nicht in schwerwiegender Weise und nichts war gebrochen oder verstaucht. Auch schaffte er nach einer notwendigen Pause am Strand und notdürftiger Erstversorgung den Wiederaufstieg zum Auto selbst, sonst hätten wir wohl den Rettungsdienst alarmieren müssen. So ging der Tag dann doch noch mit einer kleinen Aufregung zu Ende, aber Daniel ging nach eigener Aussage die folgenden Tage recht gerne zum Centro de Salud zum neu verbinden, die Krankenschwestern dort sollen ihm sehr sympathisch gewesen sein.

René

Hiking in Switzerland and around the world