05 19 Lastos

19. Mai, durch den Flaskia Schluchtnach Lastos und auf Kali-Limni

Eine der schönsten Wanderungen. Die Besteigung des Kali-Limni ist von einer grossen Vielfalt geprägt. Schon die Zufahrt mit dem Bus zum Ausgangspunkt unserer Wanderung gibt einen sehr guten Eindruck, was der Süden von Karpathos zu bieten hat. Es sind nicht die schroffen Felsen, die die Gegend dominieren, sondern vielmehr eine blühende Landschaft, teils mit Wäldern bestückt, teils aber bereits voralpinen Charakter hat. Die Fahrt nach Adia verläuft durch die uns schon bekannten Dörfer Aperi, Volada, Othos, Piles und dann der Westküste entlang bis zum Eingang zur Flaskia Schlucht, die uns noch eine Zeitlang beschäftigen wird.

Einige von uns, Alain, Beat, Michael und ich, möchten den höchsten Berg der Insel auf über 1200 m. ü.M. erklimmen. Die anderen entscheiden sich aber lieber für die gemächlichere Variante, nur bis zur Lastos Alm zu wandern und dort in der Kali-Limni Taverna mit einer leckeren Mahlzeit auf die Gipfelstürmer zu warten. Die erste Gruppe ohne Christina, dafür aber mit GPS und guten digitalen Karten ausgerüstet, geht voraus. Damit finden wir den Weg ohne grosse Probleme. Die zweite Gruppe wird von Christina geführt. Der Weg schlängelt sich immer tiefer durch die wilde und immer enger werdende Schlucht. Bald führt er steil hinauf mit einigen ausgesetzten Stellen. Es ist uns klar geworden, warum diese Gegend als Kletter Eldorado bekannt ist. Laut Angaben gibt es über 100 Klettertouren in dieser Gegend.

Und plötzlich kommen wir aus der Schlucht heraus. Die Ausblicke werden atemberaubend schön. Unseren Ausgangspunkt sehen wir von weitem, ganz tief unten. Aus Freude singen wir ein Sennedija-oh-oh-oh, ein typisch lokal-griechisches Volkslied. Und gleich darauf ertönt die Antwort von unten mit Holadijahuh-uh-uh, auch typisch griechisch. Und so geht es weiter bis wir unerwartet eine Hochebene erreichen. Alte ausgedehnte Mauerresten zeugen von früheren Besiedlungen. Später erfahren wir, dass Lastos einmal mehrere Tausend Einwohner zählte und landwirtschaftlich genutzt wurde. Heute gibt es nur noch eine Kapelle und die bereits erwähnte Taverna. Auch die Landschaft hat sich schlagartig verändert. Bis anhin war sie stark bewaldet und teilweise strahlend in Blüte. Und hier oben auf 700 m Höhe wird sie plötzlich rauh und steinig. Nur hie und da trifft man auf dornige Phrygana Büsche. Daran müssen wir uns zuerst gewöhnen. Wir haben den Kali-Limni vor Augen, vielleicht ist es nur die Bergkette, die zum noch versteckten Gipfel gehört, das wissen wir nicht so ganz genau. Aber das Gebiet ist hier übersichtlich, unser Ziel ist nicht zu verfehlen. Die roten Punkte, die unseren Weg markieren, machen jedes GPS Lesen unnötig. Michael ist aber weiterhin nicht sehr begeistert von der rauhen Landschaft und verzichtet auf den Gipfel. Und wir waren nur noch 3.

Der Aufstieg zum höchsten Punkt ist vorerst nur eine Sache der Kondition. Er ist steil und ruppig, aber wie gesagt unfehlbar. Und auf diesem Abschnitt sind wir nicht alleine. Wir treffen immer wieder auf begeisterte Berggänger, ausnahmslos Holländer. Und dann… Plötzlich aus heiterem Himmel eine Böe, die uns fast umwirft. Und je länger wir weitergehen umso stürmischer wird es. Wir lassen uns aber nicht beirren und erreichen den Gipfel mit einem Gang wie besoffen. Noch schnell ein Panoramabild von dieser einmaligen Rundsicht auf die ganze Insel als Beweisstück, und dann geht es auf direktem Weg wieder zurück zur Taverna. Beim Abstieg sehen wir noch, wie die Wolken über den Berggrat hinüberschwappen und den Hang hinuntergleiten, ein grossartiger Anblick.

Angekommen in der Taverna, mit fröhlichem Gesicht, begeistert, noch voller Adrenalin, ohne unsere Müdigkeit zu spüren, empfangen uns alle Wanderfreunde in applaudierender Spalierformation. Wir hätten vor Freude am liebsten jeden einzelnen abgeküsst, aber zu diesem Zeitpunkt wissen wir noch nicht ob „nur ein Ja ein Ja ist“ oder die sanftere Variante „Nein ist Nein“ gilt. So haben wir darauf verzichtet.

Der aufkommende Sturm hat die Wartenden beunruhigt und sie haben uns schliesslich erleichterten Gemütes willkommen geheissen. Gut durchgelüftet und zufrieden besteigen wir alle den Bus zur Heimreise.

Dieser Tag wird uns sicherlich noch lange in Erinnerung bleiben. Aber… er ist ja gar noch nicht fertig, es gibt noch einen weiteren Höhepunkt. Der übergrosse Bus, gefühlsmässig breiter als das Strässchen, führt uns kurvenreich und unübersichtlich um den Gipfel des Kólla, klebend an einer senkrechten Felswand; 300m tiefer liegt das Tal. Der Blick nach unten ist sowohl furchterregend wie bezaubernd schön. Jedenfalls hat vermutlich jedermann seine persönlichen Emotionen gehabt. Nur der Fahrer behält seine stoische Ruhe und führt uns unglaublich sicher nach Pigadia zurück.

Roland und Anne

Hiking in Switzerland and around the world